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«Rue de Stratford-on-Odéon»: Die späte Ehrung der Adrienne Monnier*

Autorenbild: Klaus LintemeierKlaus Lintemeier

Aktualisiert: 15. Feb.

In Monniers Buchhandlung versammelt sich schon bald die literarische Elite: Colette, Walter Benjamin, Louis Aragon, André Breton, Jacques Prévert, André Gide, Paul Valéry, Blaise Cendrars, Nathalie Sarraute und Guillaume Apollinaire, der direkt von der Front zurückkehrte – sie alle finden hier nicht nur Bücher, sondern einen intellektuellen Zufluchtsort. Monnier revolutioniert den Umgang mit Literatur: Sie führt als eine der Ersten öffentliche Lesungen ein – damals ein völlig neuartiges Konzept – und entwickelt ein Bibliotheksmodell mit Jahresabonnement, das seiner Zeit weit voraus war. Ihre Überzeugung: Man sollte ein Buch erst lesen können, bevor man sich zum Kauf entschließt.


Adrienne Monnier vor ihrem Buchladen mit Leihbibliothek «La Maison des Amis des Livres» (vermutlich 1915)
Adrienne Monnier vor ihrem Buchladen mit Leihbibliothek «La Maison des Amis des Livres» (vermutlich 1915)

Als ihre Freundin und spätere Weggefährtin Sylvia Beach am 19. November 1919 «Shakespeare and Company» als angelsächsisches Pendant zunächst in der Rue Dupuytren Nummer 8 eröffnet, steht Monnier ihr beratend zur Seite. Die wahre Magie entfaltet sich jedoch erst, als Beach am 27. Juli 1921 in größere Räumlichkeiten in der Rue de l'Odéon Nummer 12 umzieht - direkt gegenüber von «La Maison des Amis des Livres». So entsteht die legendäre «l'Odéonie».


Wegbeschreibung zu den Buchhandlungen «La Maison des Amis des Livres» und «Shakespeare and Company» sowie Preisliste
Wegbeschreibung zu den Buchhandlungen «La Maison des Amis des Livres» und «Shakespeare and Company» sowie Preisliste

Zwischen den beiden Buchhandlungen entwickelt sich in der Zwischenkriegszeit ein einzigartiger Raum für moderne Literatur und neue Ideen. Hier treffen sich James Joyce, Sherwood Anderson, Thornton Wilder, John Dos Passos, André Maurois, T.S. Elliot, F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway und viele andere. Fast drei Jahrzehnte lang pulsiert hier das kulturelle Leben mit Treffen, öffentlichen Lesungen, Ausstellungen und Musikabenden.


James Joyce und Sylvia Beach vor «Shakespare and Company» in der Rue Dupuytren Nummer 8
James Joyce und Sylvia Beach vor «Shakespare and Company» in der Rue Dupuytren Nummer 8

Die Veröffentlichung von James Joyces «Ulysses» 1922 und dessen französische Übersetzung 1929 machen Adrienne Monnier und besonders Sylvia Beach über Frankreichs Grenzen hinaus berühmt. Joyce selbst prägt für die Rue de l'Odéon den liebevollen Spitznamen «Rue de Stratford-on-Odéon» - eine Würdigung des literarischen Zentrums, das hier entstanden ist.

 

Während heute eine Gedenktafel an «Shakespeare and Company» erinnert, brauchte es die Hartnäckigkeit der Biografin Laure Murat und siebzehn Jahre Kampf, bis der Pariser Stadtrat am 17. November 2020 auch für Monnier eine Gedenktafel bewilligt.


Am 10. September 2021 wird sie in einer feierlichen «Cérémonie de dévoilement de la plaque en hommage à ADRIENNE MONNIER» enthüllt – eine späte Würdigung für die Frau, die als eigentliche Erfinderin dieser revolutionären Geschäftsidee den Grundstein für das literarische Paris der Zwischenkriegszeit legte.


Die Tafel erinnert heute daran, dass Monnier hier nicht nur Apollinaire, die Surrealisten, Gide, Claudel, Colette und Violette Leduc empfing, sondern auch die erste französische Übersetzung des «Ulysses» herausgab.


Enthüllung der Gedenktafel für Adrienne Monnier am 10. September 2021 in der Rue de l'Odéon Nummer 7
Enthüllung der Gedenktafel für Adrienne Monnier am 10. September 2021 in der Rue de l'Odéon Nummer 7
Adrienne Monnier hat hier 1915 das Haus der Bücherfreunde gegründet, eine Buchhandlung und Leihbibliothek
Adrienne Monnier hat hier 1915 das Haus der Bücherfreunde gegründet, eine Buchhandlung und Leihbibliothek

Jacques Prévert setzt ihr mit einem Gedicht ein literarisches Denkmal – eine Liebeserklärung an Adrienne Monnier und ihre Buchhandlung in der «Rue de Stratford-on-Odéon».


La Maison des Amis des Livres. Jacques Prévert

Une boutique, un petit magasin, une baraque foraine, un temple, un igloo, les coulisses d'un théâtre, un musée de cire et de rêves, un salon de lecture et parfois une librairie toute simple avec des livres à vendre ou à louer et à render, et des clients, les amis des livres, venus pour les feuilleter, les acheter, les emporter. Et les lire. (…)  Adrienne, avant de fermer boutique, toute seule avec ses livres, comme on sourit aux anges, leur souriait. Les livres, comme de bons diables, lui rendaient son sourire. Elle gardait ce sourire et s'en allait. Et ce sourire éclairait toute la rue, la rue de l'Odéon, la rue d'Adrienne Monnier.

 

Les Amis des Livres. Eine Boutique, ein kleiner Laden, eine Jahrmarktsbude, ein Tempel, ein Iglu, die Kulissen eines Theaters, ein Museum aus Wachs und Träumen, ein Lesesalon und manchmal eine ganz einfache Buchhandlung mit Büchern zum Verkauf oder zum Verleih und zur Rückgabe und Kunden – die Freunde der Bücher, die gekommen sind, um in ihnen zu blättern, sie zu kaufen, sie mitzunehmen – sie zu lesen. (...) Adrienne lächelte, bevor sie den Laden schloss, ganz allein mit ihren Büchern, so wie man mit Engeln lächelt und ihnen zulächelt. Die Bücher erwiderten ihr Lächeln, wie gute Teufel. Sie behielt dieses Lächeln und verschwand. Und dieses Lächeln erhellte die ganze Straße, die Rue de l'Odéon, die Rue d'Adrienne Monnier. (Übersetzung: Klaus Lintemeier)


P.S.

Dieser Beitrag erschien in einer früheren Fassung als Gastbeitrag am 01.12.2024 im «Paris und Frankreich Blog» von Dr. Wolf Jöckel. Vielen Dank für die Erstveröffentlichung!


 

Literatur

 

Beach, Sylvia (2008): Shakespeare and Company: Ein Buchladen in Paris. – Suhrkamp Verlag. (Die englischsprachige Ausgabe von 1991. Die gebundene Ausgabe von 1959).

 

Buchner, Carl H. (2023): Aufzeichnungen aus der Rue de l'Odéon: Schriften 1917–1953. Erinnerungen der legendären Pariser Buchhändlerin Taschenbuch. – herausgegeben von Carl H. Bugner. – Insel Verlag.

 

Jean, Bernard (1980): Mon beau navire. – Buchet/Chastel.

 

Maher, Kerri (2022): Die Buchhändlerin von Paris: Die berühmteste Buchhandlung Frankreichs, das »gefährlichste Buch des Jahrhunderts« und eine Liebe im Paris der 1920er. – Insel Verlag.

 

Monnier, Adrienne (2009): Rue de l’Odéon. – Édition Albin Michel.

 

Murat, Laure (2024): Passage de l'Odéon: Sylvia Beach, Adrienne Monnier et la vie littéraire à Paris dans l'entre-deux-guerres. – Gallimard.

 
 
 

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